Der Begriff Hurensohn oder Hurenkind taucht im typografischen Kontext zum ersten Mal um 1900 auf. In der Tat wird er auch heute noch verwendet – viele Grafiker kennen ihn – der alternative Begriff Witwe hingegen ist eher unbekannt. Insofern ist es vielleicht nachvollziehbar, dass die Bezeichnung Schusterjunge nach wie vor verwendet wird, auch wenn er weder zeitgemäß noch politisch korrekt ist. Doch was bedeutet er im typografischen Kontext?

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Ein Satzfehler: Das Hurenkind und die Witwe

Beim Hurenkind bzw. der Witwe handelt es sich um einen Satz- bzw. Umbruchfehler, den wir in jedem Fall vermeiden sollten. Sie entsteht, wenn die letzte Zeile eines Absatzes alleine am Anfang einer neuen Spalte bzw. Seite steht. Diese Zeile wirkt verloren, unästhetisch und stört den Lesefluss. Das sind genug Argumente, um dafür zu sorgen, dass sie in Ihrer Gestaltung nicht vorkommt.

Eine Seite mit dichtem deutschen Text befasst sich eingehend mit Typografie und Schriftmischung, wobei darauf geachtet wird, Hurenkind zu vermeiden. Der Inhalt ist in Spalten unterteilt, wobei einige Wörter rot hervorgehoben sind. Verschiedene Schriftarten und -größen sorgen für Akzente in den Absätzen.

Die Witwe, also die allein stehende Zeile am Spaltenbeginn, ist magentafarben markiert. Sie stört den Lesefluss und sieht unästhetisch aus.

Übrigens: das Pendant zur Witwe ist der Schusterjunge (auch Waisenkind bzw. Findelkind genannt), den wir im nächsten Artikel betrachten.

Hurenkind und Witwe vermeiden – zwei Zeilen zusammenhalten

Grundsätzlich gilt, dass mindestens zwei Zeilen zusammengehalten werden sollten – drei sind allerdings noch schöner, gerade bei einem Seitenwechsel.

Um Abhilfe zu schaffen, haben Sie zwei Möglichkeiten:

  1. Textänderung
    Sie ändern den Text, indem Sie ihn kürzen, sodass die Zeile entweder noch am Ende der Spalte oder der Seite unterkommen kann. Oder Sie längen, damit eine Zeile mehr entsteht und sich eine weitere Zeile zur einsamen Witwe gesellt.
  2. Laufweiten- bzw. Trennungskorrekturen
    Häufig ist natürlich dem Grafiker das Eingreifen in den Text nicht gestattet. In diesen Fällen sollten Sie in die Trickkiste der Laufweitenkorrektur greifen, um den Absatz um eine Zeile zu verringern oder zu verlängern.

Laufweiten korrigieren

Sehen wir uns dieses Eingreifen genauer an. Unser Ziel ist es also, den Text eine Zeile zu längen oder zu kürzen. Läuft die letzte Zeile des Absatzes sehr lang, genügt es oft, die Laufweite des ganzen Absatzes nur ganz leicht zu erhöhen oder eine Trennung zu verändern, damit eine neue Zeile entsteht. Und schon ist Ihre Witwe nicht mehr einsam. Läuft hingegen die letzte Zeile des Absatzes sehr kurz, verringern Sie hier die Laufweite des gesamten Absatzes ganz leicht. So wird die Veränderung nicht sichtbar, aber die kurze letzte Zeile verschwindet.

Hinweis: Verändern Sie immer den gesamten Absatz.

Alternativ bzw. ergänzend greifen Sie in die Trennungen ein: Bei Flattersatz ist das in der Regel keine große Herausforderung. Bei Blocksatz ist die Laufweitenveränderung meist die bessere Wahl.

Witwe beseitigen – Absätze verändern

Aber Achtung: Es muss nicht unbedingt der aktuelle Absatz mit dem Hurenkind bzw. der Witwe sein, den Sie verändern. Häufig ist es so, dass sich ein Absatz weiter zuvor im Text viel besser eignet, um die Zeilenanzahl zu verändern. Die Korrektur kann somit auch ein, zwei oder drei Absätze vor der eigentlichen Problemstelle stattfinden. Den Absatz, der sich am besten eignet, erkennen Sie ganz einfach an einer sehr kurzen oder sehr langen letzten Zeile.

Eine Witwe, zu der sich eine zweite Zeile gesellt ist immer besser als eine einsame Witwe, jedoch ist das immer noch nicht die optimale Lösung. Drei Zeilen sind ästhetischer. Es ist aber kaum machbar, durch eine Laufweitenkorrektur zwei neue Zeilen zu erzeugen, ohne dass die vergrößerten Laufweiten erkennbar sind – was wir vermeiden wollen. Insofern greift man eher zu einer Verringerung der Laufweite, damit das Hurenkind bzw. die Witwe noch in die Spalte zuvor passt.

Eine Textseite mit Abschnitten in unterschiedlichen Farben und Schriftarten verwendet grünen und roten Text, um wichtige Punkte hervorzuheben, während schwarzer Text Erklärungen liefert. Das Hurenkind-Layout kombiniert geschickt Spalten und Ausrichtung und hebt bestimmte Sätze hervor, was einen optisch eindrucksvollen Effekt erzielt.
Abbildung 1

Die beiden grünen Absätze haben relativ lange Ausgangszeilen, hier könnte man mit einer Laufweitenerhöhung eine neue Zeile entstehen lassen. Achten Sie aber bitte darauf, durch die Veränderung nicht einen Schusterjungen/Findelkinder zu erzeugen. Der blau markierte Absatz hat eine relativ kurze Ausgangszeile, somit könnten wir hier versuchen, mit einer leichten Laufweitenverringerung eine Zeile verschwinden zu lassen.

In einem deutschen Magazinartikel über Typografie und Design wird das Thema anschaulich aufbereitet. Besonders interessant ist der Abschnitt, der das Phänomen des „Hurenkindes“ im Layout beleuchtet, während farbige Highlights in Blau und Gelb die zweispaltige Struktur akzentuieren.
Abbildung 2

Ein schneller Test hat gezeigt, dass die Laufweiten der beiden grünen Absätze (s. Abbildung 1) deutlich vergrößert werden müssten, damit jeweils eine Zeile mehr entsteht. Somit haben wir uns für die Verringerung entschieden, was auch letztlich die ästhetischere Variante ist. Der blaue Absatz erhält also eine Laufweitenveränderung von -6, damit er sich um eine Zeile verringert. Das magentafarbene Hurenkind rutscht somit nach unten in die zweite Spalte. Wer es genau nehmen möchte, entfernt noch den Einzug der ersten Zeile aus dem folgenden Absatz.

Hurenkinder und Witwen in Adobe InDesign

Auch die Layout-Programme halten eine Funktion bereit, um Witwen (und Waisenkinder) zu vermeiden. In InDesign finden Sie in den Absatzoptionen in der Kategorie Umbruchoptionen mit dem Befehl Zeilen nicht trennen die Möglichkeit, alle Zeilen eines Absatzes zusammenzuhalten. Dieser Befehl könnte beispielsweise für mehrzeilige Zwischenüberschriften sinnvoll sein. Uns interessiert aber der Befehl darunter, nämlich zwei Zeilen Am Anfang/Ende des Absatzes. Die Witwe vermeiden wir also, indem wir bei Ende eine „2“ eintragen. Wie gesagt, noch schöner wären drei Zeilen – das lässt sich allerdings in der Praxis nicht immer so einfach umsetzen.

Das Problem, das durch diese Funktion entsteht, liegt aber auf der Hand. Um eine Witwe zu vermeiden, schnappt sich das Programm die vorletzte Zeile und packt sie ebenfalls in die neue Spalte. Wer aber seinen Satzspiegel füllen möchte, kommt mit diesem Befehl nicht weit und muss letztlich doch manuell in die Silbentrennung bzw. in die Laufweiten eingreifen.

Zwei Seiten aus einer Printzeitschrift mit deutschem Text. Die linke Seite beschäftigt sich mit architektonischen Elementen, die rechte Seite enthält einen Artikel mit dem runden Bild eines Mannes mit Hut und darunter eine Anzeige für die Obdachlosenkampagne „Spenden Helfen“. Auffällig ist, dass kein Hurenkind das Layout stört.

Die letzte Zeile des Absatzes von Punkt 4 steht oben auf einer neuen Seite.

Eine Doppelseite im Magazin beschäftigt sich mit Obdachlosigkeit. Die linke Seite konzentriert sich auf die Typografie und hebt Schlüsseltexte präzise hervor, um typografische Fehltritte wie „Hurenkind“ zu vermeiden. Rechts begleitet eine Liste mit Argumenten für klares Schreiben eine Anzeige mit dem Gesicht eines Mannes und dem Wort „obdachlos“.

Viele Zwischenüberschriften und kurze Grundtextblöcke machen die Situation nicht einfacher. Allerdings haben wir in diesem Beispiel den Vorteil, dass der erste Absatz der linken Seite eine sehr lange letzte Zeile aufweist. Somit genügt eine minimale Erhöhung der Laufweite, und eine weitere Zeile entsteht.

Der Screenshot zeigt ein Einstellungsfenster mit dem Titel „Absatzformatoptionen“. Es enthält Optionen zur Absatzformatierung wie Zeilenumbrüche und Positionierung und behandelt Details wie die Einrückung in Zeilen mit der Bezeichnung „Anfang“ und „Ende“. Gleichzeitig hilft es Ihnen, Layoutprobleme wie das „Hurenkind“ zu vermeiden.

Ein doppelseitiges Layout mit deutschem Text, dessen Typografie sich um das Konzept „Hurenkind“ dreht. Es zeigt zwei kleinere Bilder eines Magazincovers mit dem Titel „Obdachlos“ und zeigt das Gesicht eines Mannes mit großem Schwarzweißtext. Rote und blaue Linien heben bestimmte Abschnitte hervor.

InDesign hat sich die letzte Zeile der linken Seite geschnappt und verschiebt sie nach rechts oben. Somit ist die Witwe keine Witwe mehr, uns fehlt allerdings links unten eine Zeile.