Teil 1: Typografie – Grundlagen
Teil 2: Typografie – Geviert und Kegel
Teil 3: Typografie – Dickte
Teil 4: Typografie – Serifen
Teil 5: Typografie – Punzen
Teil 6: Typografie – Ligaturen
Teil 7: Typografie – Glyphen
Teil 8: Typografie – Laufweite
Teil 9: Typografie – Kapitälchen
Teil 10: Typografie – Versalien
Teil 11: Typografie – Zeilenabstand
Teil 12: Typografie – Registerhaltigkeit
Teil 13: Typografie – Textausrichtung und Zeilenlänge
Teil 14: Typografie – Blocksatz
Teil 15: Typografie – Einzug
Teil 16: Typografie – Initial
Teil 17: Typografie – Hurenkind/Witwe
Teil 18: Typografie – Schusterjunge (dieser Teil)
Der Schusterjunge ist genauso wie das Hurenkind eine veraltete Bezeichnung für einen Umbruchfehler bzw. Satzfehler in der Typografie. Inzwischen gibt es andere Bezeichnungen für den Schusterjungen, die weitaus zeitgemäßer sind wie zum Beispiel Waise, Waisenkind oder Findelkind. Tatsächlich aber ist der Begriff Schusterjunge immer noch der bekanntere.
Übrigens wird der Schusterjunge als das kleinere Übel gesehen – vermeiden sollten Sie aber beide.
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Der Schusterjunge – ein Fehler im Layout
Und was ist jetzt der Schusterjunge genau? Wer mit mehrspaltigem oder mehrseitigem Text zu tun hat, wird ihn in jedem Fall bereits mal kennengelernt haben. Der Schusterjunge ist eine erste Zeile eines neuen Absatzes, die einzeln am Ende einer Spalte steht. Ein solcher Umbruchfehler erschwert den Lesefluss, sieht zudem unästhetisch aus und die Gestaltung verliert seinen professionellen Eindruck.
Die magentafarbene Zeile zeigt einen Schusterjungen: Die erste Zeile eines neuen Absatzes am Ende einer Spalte.
Zwei Punkte verschlimmern die Situation noch:
1. Es handelt sich nicht um eine normale Textzeile, sondern um eine Zwischenüberschrift. 2. Es handelt sich nicht um die letzte Zeile einer Spalte, sondern um die letzte Zeile auf einer Seite.
Hier sind zwar zwei Zeilen zusammengehalten, allerdings handelt es sich um eine Zwischenüberschrift plus eine Zeile Grundtext – auch das sollte in jedem Fall vermieden werden.
Grundsätzlich sollten Sie mindestens zwei Zeilen zusammenhalten. Über drei Zeilen freut sich das Leserauge noch mehr, das ist allerdings in der Praxis noch schwerer zu erreichen.
Lösungen für den Schusterjungen
Aber sprechen wir lieber darüber, was wir dagegen tun können. Wer bereits den Artikel Typografie 17 über das Hurenkind bzw. die Witwe gelesen hat, kennt sich aus, denn das Procedere ist übertragbar.
Lage sondieren
Die Lage ist zunächst, dass im Text vor dem Schusterjungen eine Zeile zu wenig Text vorhanden ist. Somit ist es unser Ziel, eine Zeile mehr Text zu erhalten, damit der neue Absatz nicht am Ende der Spalte, sondern oben in der Folgespalte zum Stehen kommt. Es kann sich gut und gerne um einen Absatz weiter vorne handeln, ja sogar um einen Absatz auf einer Seite zuvor. Checken Sie aber unbedingt, ob durch eine Erhöhung der Zeilen nicht an anderer Stelle ein Schusterjunge oder eine Witwe entsteht.
Alternativ könnte man den Text um eine Zeile kürzen. Das bedeutet, dass unten am Ende der Spalte bzw. Seite nicht mehr nur eine, sondern zwei Zeilen zu stehen kommen. Das ist nicht die beste Lösung – eine Zeile mehr wäre in jedem Fall die bessere Wahl, aber es ist immer noch das kleinere Übel.
Zeilenmenge anpassen
Wie erhalten wir also eine Zeile mehr – oder auch weniger?
- Textänderungen: Wer in den Text eingreifen darf, hat schnell gewonnen. Manchmal genügen ein oder zwei Worte, um eine weitere Zeile zu erzeugen – oder verschwinden zu lassen.
- Laufweitenänderungen: Diese Variante ist besonders bei Blocksatz die übliche Vorgehensweise, da der Grafiker in der Regel keine Textänderungen vornehmen kann. Wir suchen uns also einen geeigneten Absatz raus, das kann der Absatz direkt vor dem Schusterjungen oder auch ein Absatz noch weiter davor sein. Geeignet ist ein Absatz dann, wenn er entweder eine sehr lange oder sehr kurze letzte Zeile aufweist. Für das Beseitigen des Schusterjungen sind die Absätze mit langen letzten Zeilen attraktiv. Für das Beseitigen des Hurenkinds sind es eher die Absätze mit kurzen Ausgangszeilen.
- Silbentrennungen ändern: Wer mit Flattersatz arbeitet, kann die fehlende Zeile häufig leicht über das Eingreifen in die Silbentrennung erzeugen.
Sie haben einen Absatz mit einer sehr langen Ausgangszeile gefunden? Gut. Markieren Sie den gesamten Absatz und erhöhen Sie die Laufweite leicht. Manchmal kann es ausreichen, wenn man sie in InDesign um 5 Einheiten (also 5/1000 eines Gevierts) erhöht. Eine Laufweitenveränderung von +5 entspricht also bei einer Schriftgröße von 10 Punkt eine Erhöhung von 0,05 Punkt.
Der grün markierte Absatz hat eine lange Ausgangszeile – der blau markierte Absatz eine kurze. Diese beiden Absätze eignen sich also am besten, um die Zeilenanzahl zu erhöhen. Grundsätzlich ist es schöner, einen Schusterjungen durch eine Zeile mehr zu entfernen.
Erhöht man in diesem Fall in Adobe InDesign die Laufweite des grünen Absatzes um 6 Einheiten (6/1000stel eines Gevierts), entsteht eine neue Zeile, die Schusterjungenzeile rutscht in die neue Spalte – und ist kein Schusterjunge mehr.
Der Umgang mit Schusterjungen in InDesign
Adobe InDesign bietet eine Funktion, um die Schusterjungen und Hurenkinder automatisch zu verhindern. In der Kategorie Umbruchoptionen gibt es den Befehl Zeilen nicht trennen. Hierüber können Sie entweder alle Zeilen eines Absatzes zusammenhalten oder eben am Anfang/Ende des Absatzes. Den Schusterjungen unterbinden Sie automatisch, indem Sie bei Ende die Zahl 2 respektive 3 eintragen. Somit hat InDesign den Auftrag, am Ende eines jeden Absatzes mindestens zwei respektive drei Zeilen zusammenzuhalten.
Der Befehl lässt sich natürlich auch in die Absatzformate aufnehmen und funktioniert reibungslos – allerdings auf Kosten der Kolumnenhöhe. Würde nämlich eine Schusterjunge entstehen, schiebt InDesign einfach diese letzte Zeile in die neue Spalte. Die „alte“ Spalte ist somit eine Zeile zu niedrig und der Satzspiegel sieht etwas angefressen aus. InDesign greift also nicht in die Laufweiten oder Silbentrennungen ein und sorgt somit nicht für eine Zeile mehr oder weniger, sondern verschiebt nur Zeilen – und löst somit nicht wirklich das Problem. Ergo heißt es bei den beiden Gefahrenstellen Schusterjunge und Witwe, dass man um das manuelle Eingreifen nicht herumkommt.
Überschrift und Grundtext zusammenhalten
Neben der Schusterjungen-/Witwen-Funktion im unteren Teil des Dialogs lassen sich im oberen Teil des Dialogs auch Zwischenüberschriften so auszeichnen, dass sie nicht alleine stehen. Denken Sie beispielsweise an mehrzeilige Zwischenüberschriften, die zwar keinen Schusterjungen erzeugen, die aber trotzdem nicht ohne folgenden Grundtext am Ende einer Spalte stehen sollten. Hierfür hält InDesign den Befehl Nicht trennen von nächsten x Zeilen bereit. Wer hier beispielsweise die Zahl 2 einträgt und diese Einstellung in die Absatzformate der Zwischenüberschrift übernimmt, legt fest, dass die Zwischenüberschrift grundsätzlich mit mindestens zwei Zeilen des Folgeformats, in dem Beispiel dann des Grundtextes, zusammengehalten wird.
Mit dieser Einstellung werden die Zwischenüberschrift (Überschrift 3) und zwei folgende Grundtextzeilen zusammengehalten. Aber auch hier verschiebt InDesign lediglich die Zeilen auf die nächste Seite – der Satzspiegel auf der linken Seite ist somit nicht hoch genug.
Und noch zwei Redensarten für diejenigen, die den Schusterjungen und das Hurenkind schlecht auseinanderhalten können:
Ein Hurenkind weiß nicht, wo es herkommt – ein Schusterjunge weiß nicht, wohin er geht.
Ein Schusterjunge arbeitet unten im Keller – ein Hurenkind steht oben verloren auf der Straße.